

Lio ist ein fröhlicher Junge, der manchmal zornig & manchmal liebevoll ist, so wie jeder von uns.
Eines Abends erzählt ihm sein Opa eine besondere Geschichte über zwei Wölfe, die in jedem Menschen wohnen.
Viel Spaß mit dieser Gute-Nacht-Geschichte.
...
Es war einmal ein Junge namens Lio.
Er wohnte mit seiner Familie in einem kleinen Haus am Waldrand.
Dort spielte er oft, sammelte Stöcke, baute Hütten und träumte von Abenteuern.
Aber manchmal war Lio wütend.
Wenn etwas nicht klappte, wenn jemand ihn neckte oder wenn Mama „Jetzt ist Schluss!“ sagte, dann stampfte er auf den Boden und brüllte:
„Das ist gemein!“
Sein Opa, der oft in einem alten Holzstuhl auf der Veranda saß, sah ihm dann ruhig zu.
An einem Abend, als die Sonne langsam hinter den Bäumen verschwand, setzte Lio sich zu ihm.
Er war traurig, weil er am Nachmittag mit seinem Freund Ben gestritten hatte.
„Ich will nicht mehr mit ihm spielen“, murmelte Lio und schaute auf seine Schuhe.
Opa nickte langsam.
Dann sagte er leise: „Weißt du, Lio, in jedem Menschen leben zwei Wölfe.“
Lio riss die Augen auf.
„Zwei Wölfe? In mir drin?“
Opa lachte leise.
„Ja. Der eine Wolf ist freundlich, geduldig und mutig. Er hilft anderen, teilt gern und freut sich über das Glück der anderen.
Der andere Wolf ist wütend, neidisch und gemein. Er will immer recht haben und denkt nur an sich selbst.“
Lio dachte nach.
„Und… die kämpfen miteinander?“
Opa nickte. „Genau. Jeden Tag kämpfen sie um dein Herz.“
Lio sah erschrocken zu seinem Opa.
„Aber wer gewinnt denn?“
Opa lächelte. „Der, den du fütterst.“
Lio schwieg lange.
Er hörte das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Bäume.
Dann flüsterte er: „Ich glaube, ich habe heute den falschen Wolf gefüttert.“
Opa legte seine warme Hand auf Lios Schulter.
„Das kann passieren, mein Junge. Wichtig ist nur, dass du morgen den richtigen fütterst.“
Am nächsten Morgen wachte Lio früh auf.
Die Sonne schien durchs Fenster, und die Vögel zwitscherten.
Er erinnerte sich an Opas Worte.
In seinem Bauch fühlte er ein Kribbeln – als würde dort wirklich etwas leben.
Beim Frühstück kam Ben vorbei.
Er hielt etwas hinter dem Rücken versteckt.
„Ich wollte mich entschuldigen“, sagte Ben schüchtern.
Er zog ein kleines Holzauto hervor, das Lio am Tag zuvor im Streit kaputtgetreten hatte.
„Ich hab’s repariert. Mein Papa hat mir geholfen.“
Lio schaute auf das Auto.
In ihm brodelte etwas – erst wollte er sagen: „Das war doch dein Fehler!“
Doch dann erinnerte er sich.
Zwei Wölfe.
Er atmete tief ein und spürte, wie der freundliche Wolf in ihm ein kleines Stück größer wurde.
„Danke, Ben“, sagte er leise. „Ich wollte mich auch entschuldigen.“
Bens Gesicht hellte sich auf.
Die beiden umarmten sich.
Von da an spielten sie wieder zusammen.
In den nächsten Tagen achtete Lio auf seine Wölfe.
Wenn er ungeduldig wurde, stellte er sich die beiden vor:
Der gute Wolf mit glänzendem Fell und klugen Augen.
Der böse Wolf mit dunklem Blick und gesträubtem Nackenhaar.
Und immer, wenn er wütend war, fragte er sich:
„Welchen Wolf will ich heute füttern?“
Manchmal gewann der gute, manchmal der böse.
Aber Lio merkte, dass der gute Wolf stärker wurde, wenn er freundlich blieb.
Er wurde ruhiger, hilfsbereiter und lachte wieder mehr.
Sogar Mama sagte eines Abends: „Du bist in letzter Zeit richtig lieb, Lio.“
Er grinste und antwortete: „Ich füttere meinen Wolf gut.“
Mama verstand erst nicht, doch Opa, der daneben saß, zwinkerte nur.
Eines Nachmittags, als ein Gewitter aufzog, lief Lio in den Garten, um seine Spielsachen einzusammeln.
Da sah er, wie ein kleiner Vogel im Regen flatterte, durchnässt und hilflos.
Er wollte erst weglaufen – es donnerte laut –, doch dann erinnerte er sich an den guten Wolf.
Lio hob den Vogel vorsichtig auf, brachte ihn unter das Dach und legte ihn in eine Kiste mit einem Handtuch.
Mama staunte, als sie das sah.
„Das war mutig von dir, mein Schatz.“
Lio lächelte stolz.
„Mein Wolf wollte helfen.“
Als der Vogel wieder gesund war und davonflog, saßen Lio und Opa auf der Veranda.
Die Sonne ging gerade unter, und der Himmel glühte orange.
„Opa?“ fragte Lio.
„Ja?“
„Kann der gute Wolf irgendwann den bösen ganz vertreiben?“
Opa schüttelte den Kopf.
„Nein, Lio. Beide gehören zu dir. Auch der böse Wolf hat seinen Platz – er zeigt dir, wenn etwas ungerecht ist oder du dich schützen musst.
Aber du darfst nie vergessen, wer das Rudel führt.“
Lio nickte langsam.
Er sah in die Ferne, wo die ersten Sterne zu funkeln begannen.
Dann sagte er leise: „Ich werde gut auf meinen Wolf aufpassen.“
Opa legte den Arm um ihn.
„Das glaube ich dir, mein Junge.“
Und als die Nacht sich über den Wald legte, hörte Lio in seinem Herzen zwei Wölfe – friedlich nebeneinander.
Er wusste: Wenn er den richtigen fütterte, würde er immer seinen Weg finden.
Und so lernte Lio, dass die Stärke in uns wächst, wenn wir Güte, Mut und Liebe nähren.
Manchmal genügt ein Lächeln, um den richtigen Wolf zu füttern.
Dann wird es in uns ganz still – und ganz hell.

Auf dieser Webseite findest du tolle Geschichten zum Vorlesen für kleine und große Kindern. Entweder einfach zwischendurch zum Entspannen oder abends als „Gute Nacht“-Geschichte, diese kindergerechten Geschichten passen immer.
Wir wünschen dir ganz viel Spaß beim Lesen oder Anhören.
…
P.S.: Du kannst Onkel Guidos Geschichten auch auf den folgenden Plattformen anhören.