Im fernen Land der Drachen begegnen sich zwei sehr unterschiedliche Wesen: Afrodita, die stolze europäische Drachendame mit glitzernden Flügeln, und Bao, der weise asiatische Drache ohne Flügel, der geschmeidig wie ein Fluss durch die Lüfte gleitet. Gemeinsam entdecken sie, dass Unterschiede Freundschaften noch stärker machen können. Viel Spaß mit dieser Gute-Nacht-Geschichte.
...
Hoch oben in den Bergen lebte Afrodita.
Sie war eine stolze europäische Drachendame mit smaragdgrünen Schuppen und großen, schimmernden Flügeln.
Wenn sie flog, funkelte die Sonne auf ihren Schwingen wie auf glitzernden Wiesen.
Afrodita liebte es, durch die Lüfte zu gleiten, ihre Flügel weit auszubreiten und die Wolken zu durchstoßen.
Doch manchmal fühlte sie sich einsam.
Denn in den Bergen gab es keine anderen Drachen.
Eines Tages entdeckte Afrodita ein merkwürdiges Leuchten am Horizont.
Neugierig flatterte sie näher.
Dort, am Rand eines klaren Sees, sah sie etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Ein langer, geschmeidiger Drache mit goldenen Schuppen schlängelte sich elegant über die Wasseroberfläche.
Er hatte keine Flügel, und doch schwebte er mühelos in der Luft, als würde der Wind ihn tragen.
„Hallo!“, rief Afrodita und landete sanft am Ufer.
Der andere Drache hob den Kopf.
Seine Augen glänzten freundlich, und er neigte ihn leicht zur Begrüßung.
„Mein Name ist Bao“, sagte er mit ruhiger Stimme.
„Und wer bist du?“
„Ich heiße Afrodita“, erwiderte sie stolz.
„Wie kannst du fliegen, ohne Flügel?“
Bao lächelte.
„Ich bin ein Drache aus dem Osten. Unsere Kraft liegt nicht in Flügeln, sondern im Einklang mit dem Wind und dem Wasser. Wir gleiten, getragen von der Harmonie der Welt.“
Afrodita staunte.
„Das klingt so anders als bei uns. Wir Drachen aus dem Westen vertrauen auf unsere starken Flügel.“
Bao nickte.
„Beides ist gut. Es sind nur zwei verschiedene Wege, den Himmel zu erreichen.“
Von diesem Tag an trafen sich Afrodita und Bao oft am See.
Sie erzählten sich Geschichten aus ihren Ländern.
Afrodita berichtete von alten Burgen, von Rittern und geheimnisvollen Höhlen voller Edelsteine.
Bao sprach von Tempeln, in deren Dachspitzen der Wind sang, und von Gärten, in denen die Kirschblüten wie rosa Schneeflocken tanzten.
Manchmal übten sie das Fliegen zusammen.
Afrodita schlug kräftig mit ihren Flügeln und zog Kreise in der Luft.
Bao glitt neben ihr, sanft und geschmeidig, wie ein Fluss, der in den Himmel fließt.
„Schau, wir fliegen auf zwei verschiedene Arten“, sagte Afrodita eines Abends.
„Und doch sind wir nebeneinander unterwegs.“
„So wie Freunde es sein sollten“, erwiderte Bao leise.
Doch nicht alle Tiere verstanden ihre Freundschaft.
Ein Rabe, der oft in den Bergen kreiste, rief spöttisch:
„Ein Drache ohne Flügel ist doch gar kein richtiger Drache!“
Afrodita funkelte den Raben an.
„Hüte deine Worte. Bao ist mein Freund. Er mag anders sein, aber er ist genauso mutig und stark.“
Bao nickte dankbar.
„Und Afrodita mag Flügel haben, doch ihr Herz macht sie noch größer als ihre Schwingen.“
Da verstummte der Rabe beschämt und flog davon.
Mit der Zeit sprachen immer mehr Tiere über die beiden Drachen.
Einige bewunderten ihre Unterschiede, andere tuschelten leise.
Doch Afrodita und Bao ließen sich nicht beirren.
Sie wussten, dass Freundschaft stärker ist als Vorurteile.
Eines Tages brach ein Sturm über die Berge herein.
Der Wind heulte, der Regen prasselte, und der Fluss schwoll gefährlich an.
Ein kleines Rehkitz war am Ufer gefangen und konnte nicht mehr zurück.
Afrodita breitete ihre Flügel aus.
„Ich hole es!“, rief sie.
Doch die Böen waren so stark, dass sie nicht tief genug hinabfliegen konnte.
„Lass mich helfen“, sagte Bao.
Mit seinem langen, geschmeidigen Körper glitt er direkt durch das tosende Wasser.
Er umschlang das Rehkitz sanft, hob es hoch und brachte es ans sichere Ufer.
Afrodita schirmte beide mit ihren Flügeln vor dem Regen, bis der Sturm sich legte.
Als die Sonne wieder durch die Wolken brach, schaute das Rehkitz zu den Drachen auf.
„Danke euch beiden“, flüsterte es.
Afrodita und Bao lächelten sich an.
„Siehst du?“, sagte Afrodita leise.
„Deine Art ist so wertvoll wie meine.“
„Und zusammen sind wir stärker als allein“, ergänzte Bao.
Von diesem Tag an waren die Zweifel verstummt.
Alle Tiere wussten nun: Zwei Drachen können verschieden sein und trotzdem die besten Freunde.
Afrodita und Bao trafen sich weiterhin am See.
Manchmal flogen sie gemeinsam, manchmal erzählten sie sich Geschichten, manchmal schauten sie einfach schweigend in den Himmel.
Sie wussten, dass Freundschaft nicht von Flügeln oder Schuppen abhängt, sondern von Herz und Vertrauen.
Und so lebten die beiden Drachen, einer mit Flügeln und einer ohne, glücklich und friedlich – verbunden durch eine Freundschaft, die stärker war als jeder Unterschied.
Sanft endet unsere Geschichte.
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Wir wünschen dir ganz viel Spaß beim Lesen oder Anhören.
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P.S.: Du kannst Onkel Guidos Geschichten auch auf den folgenden Plattformen anhören.