Emilia spricht nicht gern laut vor anderen.

Sie hat das Gefühl, in ihrem Ranzen wohnt ein kleines Monster, das ihr zuflüstert: „Sag lieber nichts!“

Doch als sie ihr Lieblingsbuch in der Schule vorstellen darf, wächst in ihr ein ungeahnter Mut.

Eine leise und liebevolle Geschichte über das Lautwerden, wenn es wichtig ist.

Viel Spaß mit dieser Gute-Nacht-Geschichte.

...

Emilia mochte die Schule eigentlich.

Sie mochte ihre Lehrerin Frau Hagedorn, die immer bunte Ohrringe trug.

Und sie mochte die Turnhalle, das Pausenbrot mit Frischkäse und die Bücher in der Leseecke.

Aber sie mochte nicht, wenn sie laut etwas sagen sollte.

Emilia war eher leise.

Wenn sie redete, hörte es oft nur die Banknachbarin.

„Sag doch mal lauter, Emilia“, bat Frau Hagedorn manchmal freundlich.

Dann wurde Emilia rot und ihre Stimme noch leiser.

Sie hatte das Gefühl, dass ein kleines Monster in ihrem Ranzen saß – direkt neben dem Federmäppchen.

Ein Flüstermonster.

Es kroch heraus, sobald sie sich melden wollte.

Und flüsterte: „Pssst, bloß nicht laut werden. Was, wenn du dich versprichst?“

Emilia wollte nicht, dass jemand lachte.

Also sagte sie oft einfach gar nichts.

Eines Tages sagte Frau Hagedorn:

„Morgen bringen bitte alle ein Lieblingsbuch mit. Und wer möchte, darf etwas daraus vorlesen.“

Alle Kinder jubelten.

Emilia bekam Herzklopfen.

„Nicht ich“, dachte sie.

Aber zu Hause packte sie trotzdem ein Buch ein.

„Emilias kleines Wunderhaus“.

Es war ihr allerliebstes Buch, mit glitzernden Bildern und Reimen über mutige Mäuse.

Am nächsten Morgen lag es in ihrem Ranzen – direkt neben dem Flüstermonster.

Sie spürte, wie es sich regte.

„Sag besser nichts“, raunte es.

Doch als sie in die Klasse kam, grinste Ben ihr zu.

„Ich bin gespannt auf dein Buch! Du liest bestimmt toll.“

Emilia sagte nichts.

Aber sie lächelte.

Die Stunde begann.

Ein Kind nach dem anderen las.

Manche laut, manche schnell, manche mit kleinen Versprechern.

Niemand lachte.

Niemand ärgerte.

Dann sah Frau Hagedorn auf.

„Emilia? Möchtest du auch?“

Das Monster flüsterte heftig.

Doch in Emilias Bauch flimmerte etwas.

Vielleicht war es Mut.

Vielleicht ein bisschen Glitzer aus dem Buch.

Sie stand auf.

Ihre Knie zitterten.

Sie ging nach vorn.

Sie öffnete das Buch.

Sie atmete tief ein.

Und sie begann zu lesen.

Erst leise.

Dann lauter.

Die Klasse hörte zu.

Ganz still.

Das Flüstermonster kroch zurück in den Ranzen.

Als sie fertig war, klatschten alle.

Frau Hagedorn lächelte.

Ben rief: „Wow, du kannst das richtig gut!“

Emilia setzte sich.

In ihrem Bauch war ein Feuerwerk.

Und im Ranzen?

Dort war das Flüstermonster ganz klein geworden.

Es gähnte, murmelte: „Na gut … vielleicht kann ich ja auch leise zuhören.“

Und Emilia wusste: Sie war nicht mehr ganz so leise wie früher.

Aber genauso mutig wie die Mäuse in ihrem Buch.