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Als Tia das Feuer, das niemals ausgeht, in den Himmel warf*, war es nur ein flammender Stock, aber er wurde runder, breiter und kühler, bis er schließlich zum Mondland wurde.
*Die Geschichte, wie Tia zu dem Feuerstock gekommen ist, kannst du hier nachlesen.
Das Mondland war ein Ort der Wunder.
Alles erstrahlte in goldenem Licht – Berge und Seen, Felsen, Bäume und Blumen und sogar die Mauern und Türme eines wunderschönen Mondpalastes, den Marama – so nannten die Māori den Gott des Mondes – gebaut hatte.
In diesem Palast lebte Marama ganz allein.
Zuerst war er so begeistert von seinem schönen neuen Land, dass er die Einsamkeit nicht bemerkte, aber nach einiger Zeit begann er zu sich selbst zu sagen: „Warum habe ich niemanden, mit dem ich meine Arbeit und meine Spielsachen teilen kann? Es macht mir keinen Spaß, allein Ball zu spielen, und ich bin es leid, zu singen, ohne dass mir jemand zuhört. Oh, ich brauche einen Gefährten!“
Er bat die Himmelsfeen, mit ihm zu leben, aber sie lehnten ab; sie hatten ihre Sterne zu bewachen.
Er schaute hinunter auf die Erde.
Ein schönes Mädchen mit einer Kalebasse – das ist ein ausgehöhlter Kürbis, worin Wasser aufbewahrt werden kann – in der Hand ging zu einem Bach am Fuße eines Hügels, um Wasser zu holen.
Ein junger Mann rannte ihr nach.
„Ina! Ina! Warte auf mich“, rief er.
Es war ihr alter Spielkamerad, der Freund, den sie mehr liebte als jeden anderen.
Sie wartete auf ihn.
Sie gingen zusammen zum Bach und Marama beobachtete sie eine Weile.
Mehrmals schaute das Mädchens zum Mond hinauf und jedes Mal fand Marama es noch schöner. Den ganzen nächsten Tag konnte er an nichts anderes denken.
„Sie würde niemals ihre alte Spielkamerad und ihr Zuhause verlassen“, dachte er, „und doch ist sie die Gefährtin, die ich mir wünsche. Was für eine süße Freundin würde sie sein.“
Als es wieder Nacht wurde, hielt er Ausschau nach Ina.
Sie kam wie zuvor den Hügel hinunter, ihre Kalebasse in der Hand.
Ihr Spielkamerad war noch nicht aufgetaucht, deswegen wartete Ina auf ihn.
„Ich werde hinuntergehen! Sie soll mit mir zurückkehren“, sagte Marama plötzlich.
Und in Windeseile stand Marama vor ihr. Zuerst blendete sein Glanz sie, aber nach und nach sah sie ihn an und erkannte, dass er ein Fremder war.
„Ich bin Marama“, sagte er. „Ich bin gekommen, um dich zu bitten, mit mir auf dem Mond zu leben. Es ist ein wunderschönes Leben und ich werde gut zu dir sein. Komm!“
Ina wich zurück. „Ich kann meine Eltern und mein Zuhause nicht verlassen“, sagte sie. „Ich würde sie schrecklich vermissen und sehr unglücklich sein.“
„Du wirst sie bald vergessen. Auf dem Mond wirst du andere Freuden haben.“
„Aber ich will sie nicht vergessen. Und ich habe einen Freund. Ich werde nicht mitkommen.“
„Denk daran, wie einsam ich da oben bin“, drängte Marama. „Ina, du wirst im Himmel nie alt werden, denn ich nehme dich mit zum Baden in den leuchtendem See, der dir ewige Jugend und Schönheit schenkt. Komm mit mir.“
„Nein“, sagte Ina, „nein, nein!“ Marama schlang seinen Arm um sie und hob sie einfach vom Boden auf.
Sie schrie auf, griff mit ihren Händen nach einer jungen Palme und klammerte sich mit aller Kraft daran fest.
Sanft aber bestimmt hob Marama sie hoch, zog die Palme an den Wurzeln heraus und trug sie hinauf in sein Mondland.
„Pflanze die Palme hier“, sagte er, als er sie absetzte. „Sie wird dich immer an dein irdisches Zuhause erinnern.“
Sie pflanzten den Baum an den Rand des Mondes und stellten die Kalebasse daneben.
„Komm und sieh dir dein neues Zuhause an“, sagte Marama.
Stolz führte er sie über seinen Palast und seine Gärten.
Sie war benommen von ihrem schnellen Flug und der Helligkeit um sie herum, aber sie konnte nicht umhin, die Schönheit des Mondlandes zu sehen.
Alles war neu und fremd.
Sie brauchte zwar viele Tage und Nächte, um zu lernen, wie das Himmelsland funktioniert, aber Marama brachte ihr alles geduldig bei und bald waren sie die besten Freunde.
Sie lernte, aus den flauschigen Morgenwolken feine Vorhänge zu machen und sie über den Himmel zu werfen, bis sie wie Spitzen über dem Blau hingen.
In Zeiten des Sturms rollte sie die Gewitterwolken; morgens und abends bemalte sie das gewölbte Himmelsdach mit Karmesin, Purpur und Gold.
Sie sorgte dafür, dass das Innere des Mondpalastes so hell und schön war wie Marama das Äußere gemacht hatte – sie liebte ihr neues Zuhause.
Als der Tag vorbei war, war die Zeit zum Spielen.
Dann tanzten und sangen Marama und Ina, spielten mit den Sternen, ritten auf den mondbeschienenen Wolken und statteten Rangi oder den Feen Besuche ab.
Jeden Monat badeten sie im leuchtenden See, damit sie niemals alt werden, sondern für immer jung, fröhlich und schön bleiben sollten.
Doch obwohl Ina so glücklich war und sie Marama und ihre Mondheimat lieben gelernt hatte, vergaß sie ihr altes Leben nie, wie Marama es sich erhofft hatte.
Tief in ihrem Herzen lag die Erinnerung an ihre Eltern und ihren Freund.
Oft, wenn die Erde unter dem Mond erleuchtet war, stand sie stundenlang unter ihrer Palme und versuchte, den Hügel und ihre Freunde zu sehen.
Nachdem sie im leuchtenden See gebadet hatte, konnte sie zum Glück Objekte in großer Entfernung erkennen.
Als sie nun hinunterblickte, sah sie ihren alten Spielkameraden, der auf der Suche nach ihr müde durch das Land reiste, während ihre Mutter vor der Tür saß und um ihr verlorenes Kind weinte.
Voller Trauer flog Ina zu Marama.
„Marama“, sagte sie, „meine Mutter weint um mich. Mein Freund durchstreift das Land auf der Suche nach mir. Schau auf die Erde und du wirst ihre Traurigkeit sehen.“
Marama schaute nach unten.
„Wenn mein alter Spielkamerad sehen könnte, wie glücklich ich bin, würde er sich freuen“, fuhr sie fort. „Bring ihn zu uns, Marama, damit er bei seiner Rückkehr das Herz meiner Mutter erleichtern kann.“
„Das ist eine gute Idee, Ina. Ich werde ihn herbringen“, sagte Marama.
Er sauste zur Erde hinunter, nahm den jungen Mann in die Arme und trug ihn zum Mond hinauf.
Ina stand da und wartete auf sie.
Erstaunen und Freude leuchteten in den Augen ihres alten Freundes, als er sie erblickte.
Ina erzählte ihm, was ihr in der Nacht passiert war, als sie vom Berghang verschwand.
Er erzählte ihr, wie ihre Freunde seitdem um sie trauerten.
Ina zeigte ihm die Wunder des Mondlandes und erzählte ihm von ihrem großen Glück, dort zu leben.
„Aber ich kann nie wieder auf die Erde zurückkehren“, sagte sie, „denn ich habe im leuchtenden See gebadet, aber du darfst nicht denken, dass ich hier unglücklich bin. In der Tat würde ich nicht auf die Erde zurückkehren, wenn ich könnte, denn die Freuden dieses Lebens sind hier so groß. Bleib eine Weile bei uns, damit du siehst, welches Glück ich habe.“
Er blieb bei ihnen und sie zeigten ihm alle Wunder des Mondlandes und des Himmels.
Als es Zeit für ihn war, zurückzukehren, sagte Ina: „Erzähle meiner Mutter und meinen Freunden bitte, was du gesehen hast, damit sie nicht länger traurig sein müssen.“
Sie rief den Regenbogen und bat ihn, ihren alten Spielkameraden sicher zur Erde zu bringen.
Der Regenbogen schwebte über der Erde, Ina verabschiedete sich von ihrem Freund und er glitt den leuchtenden Bogen hinunter zum Berghang.
Als er Inas Mutter von dem neuen Leben und dem großen Glück ihrer Tochter berichtete, trocknete sie ihre Tränen und freute sich.
Als die Nacht hereinbrach und der Mond hoch am Himmel aufstieg, erzählte der alte Spielkamerad von Ina und Marama und den Wundern ihrer Heimat im Mondland.
Ina war zufrieden.
Trotzdem hat sie ihre Liebe zu ihrer alten Heimat auf der Erde nie verloren.
Selbst jetzt, wenn der Mond wolkenfrei ist, kannst du sie sehen, wie sie auf die Erde blickt, die hohe Palme über ihrem Kopf und die Kalebasse zu ihren Füßen.
Das ist es, was du siehst, wenn du das Mondland bei Vollmond genau betrachtest.
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Wir wünschen dir ganz viel Spaß beim Lesen oder Anhören.
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