Minna und Gundoline sind zwei freundliche kleine Hexen, die tief im Wald leben – ohne zu wissen, dass sie Zwillingsschwestern sind.
Die eine lebt mit dem Papa, die andere mit der Mama.
Zufällig begegnen sie sich an einem alten Baum – und fliehen erschrocken vor ihrer eigenen Ähnlichkeit.
Doch die geheimnisvolle Begegnung lässt ihnen keine Ruhe.
Viel Spaß mit dieser Gute-Nacht-Geschichte.
...
Tief im Herzen eines großen Waldes lebten zwei kleine Hexen.
Die eine hieß Minna.
Sie trug stets ein lila Kleid, ihre Haare waren wild und rot wie Herbstlaub, und sie lachte viel.
Minna wohnte am Waldrand, in einer kleinen Hütte mit krummem Schornstein und einem Garten voller wilder Kräuter.
Sie lebte dort mit ihrem Vater, einem freundlichen alten Zauberer, der gerne Pilzsuppe kochte und abends Geschichten erzählte.
Die andere Hexe hieß Gundoline.
Gundoline trug ein moosgrünes Kleid, flocht ihre langen, dunklen Haare zu einem Zopf und sprach gern mit den Tieren.
Sie lebte tief im Wald, in einer Hütte, die halb in einen Hügel gebaut war und deren Dach mit Moos und Tannenzapfen bedeckt war.
Bei ihr wohnte ihre Mutter, eine weise Kräuterfrau, die heilende Salben rührte und magische Tinkturen herstellte.
Was beide nicht wussten: Sie waren Schwestern.
Nicht nur das – sie waren Zwillingsschwestern.
Minna glaubte immer, ihre Mutter sei in einer Zauberwolke verschwunden.
Gundoline dachte, ihr Vater sei auf eine lange Reise gegangen und hätte vergessen, zurückzukommen.
Niemand hatte je davon gesprochen.
Doch eines Tages sollte sich alles ändern.
Es war ein sonniger Frühlingstag, an dem der Wald duftete wie frisch gebackenes Brot und Flieder.
Minna war unterwegs, um einer kleinen Eule zu helfen, die sich das Flügelchen verknickt hatte.
Sie trug ihren Zauberkoffer bei sich, voller Bänder, Tinkturen und einem klitzekleinen Pflaster mit Eulenmuster.
Zur gleichen Zeit war Gundoline unterwegs, weil ein alter Dachs Zahnschmerzen hatte.
Sie hatte einen warmen Kräutertee dabei, ein paar Salbeiblätter und ihr selbstgebrautes Zahnpulver.
Beide liefen sie durch denselben Teil des Waldes, jede auf ihrer eigenen Seite des alten, mächtigen Eichenbaums, der mitten auf einer Lichtung stand.
Minna ging von links herum.
Gundoline von rechts.
Und wie es das Schicksal wollte, trafen sie sich genau hinter dem Baum.
Plumps!
Sie stießen heftig zusammen, fielen beide rückwärts ins Gras, ihre Zaubertaschen flogen durch die Luft.
„Aua!“, rief Minna erschrocken.
„Pass doch auf!“, rief Gundoline gleichzeitig.
Beide schauten sich an – und hielten den Atem an.
Sie sahen sich so ähnlich, dass sie fast erschraken.
Gleiche Augen.
Gleiche Nase.
Fast identisches Lächeln.
Nur das Kleid war anders.
„Wer … bist du denn?“, flüsterte Minna.
„Ich heiße Gundoline … und du?“, fragte die andere vorsichtig.
„Minna.“
Beide schauten sich mit großen Augen an.
Dann, plötzlich, sprangen sie gleichzeitig auf – und liefen in entgegengesetzte Richtungen davon.
Ohne ein weiteres Wort.
Minna raste durch das Unterholz, sprang über Wurzeln und keuchte: „Das war so seltsam … sie sah aus wie ich!“
Gundoline hastete zwischen Farnen und Büschen hindurch und murmelte: „Was, wenn das ein Spiegel war? Oder ein Trick? Oder … oder …?“
In der folgenden Nacht konnten beide nicht schlafen.
Minna lag auf dem Mooskissen, drehte sich von einer Seite auf die andere und starrte in das schiefe Dach ihrer Hütte.
„Wer war sie?“, flüsterte sie in die Dunkelheit.
Gundoline saß in ihrem Bett aus Zweigen und weichem Gras, hielt die Decke fest und dachte: „Sie war so … vertraut. Fast wie ich. Das kann doch kein Zufall sein.“
Am nächsten Morgen gähnten beide müde.
Minna kochte sich einen starken Lindenblütentee.
Gundoline nahm ein paar Tropfen Wacholderöl gegen das Gedankenkarussell.
Doch ihre Gedanken ließen sie nicht los.
Beide beschlossen – unabhängig voneinander – zurück in den Wald zu gehen.
Minna schrieb einen kleinen Zettel an ihren Vater: „Ich bin im Wald. Suche jemanden. Hab keine Angst. Alles gut. ♥ Minna“
Gundoline sagte ihrer Mutter beim Frühstück: „Ich muss heute wieder in die Lichtung. Da ist etwas … oder jemand … den ich finden muss.“
Mit pochendem Herzen gingen sie los.
Diesmal sehr langsam.
Minna bog links vom Eichenbaum ab.
Gundoline kam vorsichtig von rechts.
Doch diesmal stießen sie nicht zusammen.
Sie hielten ein paar Schritte Abstand – und sahen sich schweigend an.
Minna trat einen Schritt vor.
„Du hast auch diese kleine Narbe an der Stirn. Von einem Sturz auf einen Wurzelstock?“, fragte sie zögerlich.
Gundoline nickte.
„Ich bin mit drei Jahren gefallen. Mama hat gesagt, das passiert kleinen Hexen eben mal.“
Minna lächelte schief.
„Ich bin auch mit drei gefallen. Papa hat gesagt, das wäre ein Ast gewesen, aber ich hab nie dran geglaubt.“
Ein Windhauch wehte durch die Blätter.
Die beiden Hexen standen wie angewurzelt.
Dann fragte Gundoline ganz leise: „Wie alt bist du eigentlich?“
„Sieben“, antwortete Minna.
„Ich auch.“
Eine lange Pause.
Dann flüsterte Gundoline: „Glaubst du … wir sind … verwandt?“
Minna sah sie an.
Und dann, ganz langsam, nickte sie.
„Ich glaube … wir sind mehr als das.“
„Schwestern?“, fragte Gundoline.
„Zwillingsschwestern“, sagte Minna.
Da liefen sie aufeinander zu und umarmten sich.
Fest.
Lang.
Still.
Die Vögel über ihnen sangen, als würden sie es auch spüren.
Von diesem Tag an waren Minna und Gundoline nicht mehr allein.
Sie verbrachten viel Zeit miteinander, erzählten sich alles über ihre Hütten, ihre Eltern, ihre Tierfreunde.
Minna brachte Gundoline bei, wie man Fliegenpilze in Schutztränke verwandelt.
Gundoline zeigte Minna, wie man mit einem Zwitscherzauber Vogelnachrichten verschicken konnte.
Am Abend saßen sie oft zu zweit auf einem Baumstamm, hielten ihre Zaubertassen in den Händen und flüsterten: „Stell dir vor, wir haben uns fast nie gefunden.“
Doch manchmal finden sich sogar kleine Hexen, wenn sie um denselben Baum laufen – eine von links, eine von rechts.
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Wir wünschen dir ganz viel Spaß beim Lesen oder Anhören.
…
P.S.: Du kannst Onkel Guidos Geschichten auch auf den folgenden Plattformen anhören.