Alle Vögel ziehen fort, nur Mia, die kleine Meise, bleibt zurück.

Sie glaubt, sie könne nicht fliegen, weil sie zu klein ist.

Doch eines Tages begegnet sie dem Wind, und der zeigt ihr, dass Mut manchmal leiser ist als Flügelrauschen.

Viel Spaß mit dieser Gute-Nacht-Geschichte.

...

Der Herbst war fast vorbei, und die letzten Blätter tanzten über die Wiese.

Auf einem Ast saß Mia, die kleine Meise, und blickte in den Himmel.

Hoch oben flogen ihre Freunde, die Spatzen, Amseln und Stare.

Sie riefen fröhlich: „Kommt, der Süden ruft!“

Doch Mia blieb sitzen.

„Ich fliege nicht mit“, murmelte sie.

Eine alte Drossel blieb stehen. „Warum denn nicht, mein Kind?“

Mia senkte den Blick. „Ich bin zu klein. Meine Flügel sind schwach. Ich würde nie so weit kommen.“

Die Drossel lächelte traurig. „Manchmal trägt der Mut weiter als die Flügel.“

Dann breitete sie ihre Schwingen aus und flog davon.

Mia sah ihr nach, bis nur noch ein Punkt am Himmel zu sehen war.

Dann wurde es still.

Der Wind zog über die Felder und flüsterte in den kahlen Bäumen.

Mia kuschelte sich in ihr Nest.

„Ich bleibe hier. Ich kann einfach nicht fliegen.“

Sie schloss die Augen.

Doch in der Nacht wurde sie vom Pfeifen des Windes geweckt.

„Miaaa …“

„Wer ruft mich?“

„Ich bin es – der Wind. Warum schläfst du und fliegst nicht?“

Mia blinzelte. „Ich kann nicht fliegen. Ich bin zu klein, zu schwach.“

Der Wind lachte leise. „Ach, kleine Meise. Ich trage Eicheln, ich trage Blätter, ich trage Träume und glaub mir, ich kann auch dich tragen.“

„Mich?“, fragte Mia ungläubig.

„Wenn du mir vertraust“, sagte der Wind sanft.

Mia zögerte. „Und wenn ich falle?“

„Dann fang ich dich auf.“

Sie sah hinauf zum Mond, der wie eine silberne Feder am Himmel hing.

Dann atmete sie tief ein, breitete die Flügel aus und sprang.

Zuerst flatterte sie wild, dann gar nicht mehr.

Sie spürte, wie der Wind sie hob, wie er sie trug, wie er sie umspielte.

„Ich fliege!“, rief sie überrascht.

Der Wind rauschte leise. „Nein, kleine Mia. Du hast nur vergessen, dass du es schon immer konntest.“

Sie lachte, ein heller, klarer Ton, der durch die Nacht tanzte.

Sie flog über den Wald, über Wiesen und den Bach.

Die Sterne glitzerten über ihr, und der Wind sang ihr ein Lied.

„Manchmal“, flüsterte er, „beginnt das Fliegen, wenn man loslässt, was einen hält.“

Als die Sonne aufging, landete Mia auf einem Ast.

Ihre Flügel zitterten, aber ihr Herz war stark.

„Ich bin geflogen“, flüsterte sie.

Ein Rotkehlchen kam vorbei und staunte. „Ganz allein?“

Mia nickte stolz. „Ich hatte Hilfe vom Wind.“

Das Rotkehlchen lächelte. „Dann hast du jetzt einen Freund fürs Leben.“

Mia blickte in den Himmel.

Die anderen Vögel waren längst fort, doch sie wusste, irgendwann würde sie ihnen folgen.

Vielleicht morgen, vielleicht später.

Aber sie hatte es geschafft.

Sie konnte fliegen.

Und der Wind trug ihr Lied weit über die Felder.

Manchmal braucht es keine großen Flügel, nur ein Herz, das sich traut.